Losverfahren

LOSVERFAHREN

David Van Reybrouk hat mit seinem neuesten Buch „Gegen Wahlen, warum Abstimmen nicht demokratisch ist“, den Diskurs zur Problematik von allgemeinen Wahlen neu entfacht. Durch die Allgegenwärtigkeit von Informationen für Jedermann heutzutage sind Politiker gezwungen, auf jede neue Entwicklung sofort zu reagieren, weil sie sonst fürchten müssen, dass kein oder verzögertes Handeln sofort die Mehrheitsverhältnisse kippen lässt. Sie sind dadurch ständig im Wahlkampfmodus. Die Konzentration auf wichtige und langfristige Entscheidungen ist kaum noch möglich und diese werden dominiert von Überlegungen, was gerade gut ankommt und wie man es am besten verkaufen kann. Das allein erklärt die Diskrepanz von Wahlversprechen und ihre fehlende Umsetzung nach der Wahl.

Um Parlamentarier in den Bundestag zu bekommen, die nicht auf die nächste Wahl schielen müssen, gibt es nur 2 Lösungen:

1. Entweder man schafft die allgemeinen Wahlen ganz ab, wie Van Reybrouk (vereinfacht gesagt) vorschlägt, und sucht unter allen wahlberechtigten Bürgern eines Landes per Losverfahren ca. 600 Volksvertreter heraus, die, wenn sie zustimmen, für eine Legislaturperiode als Abgeordnete ins Parlament dürfen. So erhält man ein repräsentatives Meinungsbild der Bevölkerung. Im Grund ist es das gleiche, was auch durch Wahlen versucht wird, nur einfacher und effektiver. Man kann auch nicht behaupten, es handle sich dann nur noch um eine Abfolge von Volksentscheiden, denn ein Querschnitt der Bevölkerung, der informiert ist, agiert vernünftiger als eine Gesellschaft, die nicht oder nur unzureichend informiert ist.

2. Oder man versucht dieses Verfahren innerhalb einer Partei vorwegzunehmen. Es wäre weltfremd, eine so radikale Veränderung gleich im großen Rahmen durchsetzen zu wollen. Wir als Partei POS können es aber sehr wohl einführen. Unsere Kandidaten für die Bundestagswahlen werden durch Losentscheid bestimmt und erst anschließend durch eine parteiinterne Wahl bestätigt. Sollten sie dann tatsächlich ins Parlament gewählt werden, ist die nächste allgemeine Wahl in 4 Jahren für sie völlig unerheblich. Denn dann entscheidet wieder das Los, auch darüber, ob man vielleicht noch mal im Namen der Partei antreten darf, um personelle Kontinuität zu gewährleisten. So können unsere zukünftigen Abgeordneten unabhängig und sachlich entscheiden, weil sie zwar im Sinne der Partei, aber doch unbeeinflusst von parteiinternen Machtkämpfen und Abhängigkeiten, ihrer Aufgabe nachgehen können.
Davon sind die gegenwärtigen Amtsinhaber, mit ihren fremdfinanzierten Parteien im Nacken und der ständigen Sorge um ihre Parteikarriere und um ihre berufliche Zukunft, weit entfernt. Um Missverständnissen vorzubeugen, soll noch einmal betont werden, dass das Losverfahren nur bei der Auswahl der Kandidaten innerhalb der Partei zu Einsatz kommt. Darauf hat niemand Einfluss und es kann auch nicht manipuliert werden. Die Auswahl und Berufung von Kabinettsmitgliedern durch die späteren Abgeordneten hat mit dem Losverfahren nichts zu tun. Da sucht man natürlich ganz gezielt nach geeigneten Kandidaten.
Es hat schon erfolgreiche Versuche mit dem Los auf kommunaler Ebene gegeben, wie z. B. kürzlich in Wuppertal. Dort eskalierte ein Streit um ein Infrastrukturprojekt. Befürworter und Gegner, befeuert von jeweiligen Interessengruppen, standen sich unversöhnlich gegenüber und blockierten eine Entscheidung. Per Zufallsprinzip wurden daraufhin im Melderegister 1000 Einwohner ausgewählt. Sie konnten sich in Ruhe einarbeiten und beide Lager unvoreingenommen anhören. Dabei wurden sie von Experten ausführlich informiert und begleitet. Schließlich lag ein Vorschlag auf dem Tisch, der von allen Betroffenen akzeptiert wurde und jetzt umgesetzt werden soll. Das Interessante dabei ist, dass viele der Ausgelosten noch nie zuvor eine öffentliche Aufgabe übernommen hatten, sich aber durch ihre Mitwirkung persönlich bereichert und ernst genommen fühlten. Ihr Verständnis für die politischen Abläufe im öffentlichen Raum wurde sensibilisiert. Die Akzeptanz von oft schwierigen politischen Entscheidungen wird so erheblich erhöht, wie dieses Beispiel eindrucksvoll belegt.