Plädoyer für das Los in der Demokratie
Plädoyer für das Los in der Demokratie
Eine Herrschaftsform im Namen und, noch wichtiger, für das Volk, die z. B. eine Wirtschafts-und Finanzstruktur erschaffen hat, die es einem Finanzjongleur ermöglicht, ganz legal im Extremfall dauerhaft 10.000 mal mehr zu verdienen als ein Arzt oder Ingenieur, ist eigentlich nur noch eine Perversion ihrer selbst.
Sind die Einen etwa so fleißig und die Anderen so faul und verdienen es deshalb nicht besser? Nein, die Einen sind clever und schlitzohrig und die Anderen haben sich mit der Lage abgefunden. Sie kennen es nicht anders.
Dieser sehr instabile Zustand ist aber irgendwann nicht mehr haltbar. Er schaukelt sich immer weiter auf und entläd sich dann in Aufständen oder Kriegen.
Klingt zu dramatisch? Aber es ist doch jeden Tag in den Medien zu sehen und es rückt immer näher.Es ist also wirklich höchste Zeit, sich mal um eine andere, gerechtere Form des Zusammenlebens zu kümmern. Es ist Zeit, eine wahre Demokratie zu organisieren.
Was haben wir jetzt?
Parteien, denen wir stellvertretend alle 4 Jahre die Macht übertragen. Ja, gewählt in geheimer Wahl nach einem medialen Dauerbombardement, gelenkt von einigen Wenigen. Diese gleichen Gruppen finanzstarker Cleverlis haben natürlich, wie in der Fabel vom Hasen und dem Igel, schon vorher alle relevanten Parteien (man kann ja nie wissen) mit ihren spendablen Gaben okkupiert, ehe der Hasenwähler angehechelt kommt. Wer letztlich gewählt wird, ist für diese Gruppen völlig unerheblich.
Klinkt alles völlig irre und übertrieben?
Aber die extreme wirtschaftliche und finanzielle Ungleichheit ist zu deutlich, um sie zu leugnen und kann auch vor Monaco in Form von Superjachten bewundert werden.
Und die richtig harten Brocken wie die Vermüllung und Überforderung unseres Planeten sind noch gar nicht angesprochen.
Was also ist zu tun?
Zunächst einmal muss die Ewigkeitsklausel im Artikel 20 der Grundgesetzes „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ umgesetzt werden.
Und zwar so umgesetzt werden, dass Keiner dazwischenfunken kann, wenn es darum geht, eine Repräsentanz des ganzen Volkes zu organisieren. Keine Medien, kein Demagoge, Niemand.
Wir brauchen also eine Versammlung, die den Querschnitt der Gesellschaft möglichst exakt nachbildet. Das geht nur über das Los, denn das Los ist unbestechlich und nicht manipulierbar.
Eine Generalversammlung von vielleicht 500 Menschen, gelost aus allen mündigen Bürgern, die sich dafür bereit erklärt und angemeldet haben, spiegelt nach der Wahrscheinlichkeitstheorie die Gesellschaft zu über 90% wieder. Das ist doch mal eine Repräsentanz, die sich sehen lassen kann.
Ist man dann gelost und hat das Los angenommen, ist man automatisch Mitglied der Legislative mir allen Rechten und Pflichten.
Diese Versammlung, der Souverän auf Zeit, besteht naturgemäß aus politischen Laien; größtenteils aus Menschen, die es nicht gewohnt sind, in öffentlichen Debatten aufzutreten. Das sollen sie aber auch gar nicht. Sie sollen oder müssen nicht debattieren, sondern nur über Gesetzesvorschläge abstimmen, die ihnen von ausgesuchten Fachleuten in einer sachlichen und nicht demagogischen Weise vorgelegt werden. Sie können sich natürlich vorher mit ihren Kollegen austauschen, aber es geht im wesentlichen darum, in geheimer Abstimmung Vorschläge anzunehmen oder Neue zu verlangen, wenn man sich nicht einigen kann.
Sie sind auf alle Fälle die letzte Instanz bei einem Gesetzgebungsprozess, der schon lange vorher begonnen hat. Das wird gleich näher erläutert.
Ein Vorschlag ist, diese Generalversammlung nicht ständig tagen zu lassen sondern nur zusammenzurufen, wenn es etwas zu beschließen gibt oder zu unvorhergesehenen Ereignissen.
Ihre Mitglieder erhalten kein festes Gehalt, sondern Pauschalen und ausreichend Spesen, für die Abstimmungen und alle Auslagen, die mit dieser Tätigkeit verbunden sind.
Sie haben alle Rechte, wie Immunität etc., die einem Parlamentarier zustehen.
Nun haben sehr viele Menschen eine große Skepsis gegenüber einem so gebildeten Plenum von politischen Laien aus allen Bevölkerungsschichten.
Wie schon erwähnt, können sie nur darüber abstimmen, was ihnen von Profis der Legislative vorgelegt wurde.
Entscheidender aber dürfte sein, was ein solches Los mit den Menschen macht. Man weiß, dass Menschen, die sich plötzlich so wertgeschätzt fühlen, zu besonderen Leistungen fähig sind.
Ein Vorschlag wäre, hat einen das Los bestimmt, dass man schon 1 Jahr vor „Dienstantritt“ einen besonderen Status bekommt und freien Zugang zu allen öffentlichen Einrichtungen, Schulen, Unis, Kulturstätten und Veranstaltungen hat.
Man kann sich informieren in allen Betrieben und Alle sind angehalten, einen zu unterstützen und zu betreuen. Alle Spesen und Reisekosten und sonstigen Auslagen werden von der Allgemeinheit übernommen. Das gilt auch für Reisen in ganz Europa, denn wir leben in einem Staatenbund und alle politischen Entscheidungen wirken sich auch auf die EU aus.
Und man ist in der gesamten Zeit unkündbar. Auch diese eventuellen Mehrkosten für die berufliche Umgebung werden übernommen.
Alle diese und weitere Auslagen für ein so gebildetes Plenum dürften nur einen Bruchteil der Kosten verursachen, die unser heutiges Parlament verschlingt.
In der übrigen Zeit machen die Mitglieder das, was ein demokratischer Souverän so tut. Man studiert, arbeitet, kümmert sich um die Familie oder sich Selbst oder geht seinen Hobbies nach.
Nur so kann man sich die nötige Bodenhaftung bewahren und seine Erfahrungen im täglichen Leben sammeln, um dann die vorgestellten Gesetzesvorschläge angemessen beurteilen zu können.
Nur so kann man sich die nötige Bodenhaftung bewahren und seine Erfahrungen im täglichen Leben sammeln, um dann die vorgestellten Gesetzesvorschläge angemessen beurteilen zu können.
Ob man unter diesen Voraussetzungen noch Gesetze durchwinkt, die die Tendenz haben, die soziale Schere immer noch weiter zu öffnen, ist doch eher fraglich.
In seinem Buch „Gegen Wahlen“ stellt David Van Reybrouck ein Modell vor, das Terrill Bouricius, ein ehemaliger amerikanischer Politiker, entworfen hat. Er schlägt verschiedene Gremien, sogenannte Panels, vor, gebildet aus Fachleuten verschiedenster Disziplinen, die einzelne Gesetze vorbereiten.
Diese möglichst unabhängigen Fachleute bewerben sich und werden dann aus einem Pool ausgelost. Alle 3-4 Jahre muss 1/3 der Belegschaft per Losentscheid ausgetauscht werden.
Bouricius schlägt verschiedene voneinander unabhängige Gremien vor, um ein Gesetz nach einer festgelegten Reihenfolge zur Abstimmung zu bringen.
Es fängt mit dem Einreichen von Vorschlägen an; daran können sich auch gesellschaftliche Gruppen beteiligen. Es geht von einem Gremium für die Agenda über zur Bearbeitung der einzelnen Themen bis zur finalen Abstimmung in der Vollversammlung.
Ein weiteres Gremium befasst sich nur mit der Beobachtung des ganzen Prozesses und kann Verbesserungsvorschläge für den künftigen Ablauf machen. Diese auch gelosten Mitglieder können aus ehemaligen Gremiumsteilnehmern, die den Apparat schon erlebt haben, bestehen. Jede Verbesserung tritt aber erst in Kraft, wenn die Mitglieder wieder rausrotiert sind. So hat man ein sich selbst verbesserndes System von Checks and Balances, von dem man aber nicht mehr selbst profitieren kann.
Alle Gremien mit ihren nötigen Mitarbeitern arbeiten in Vollzeit und erhalten eine feste Vergütung.
Man muss sicher keine Bange haben, für solch herausragende Posten, auch wenn sie zeitlich begrenzt sind, geeignete, fachlich kompetente Bewerber:innen zu finden.
Ganz wichtig ist: Die ausgelosten Fachleute sind genau wie die Vollversammlung offizieller Bestandteil der Legislative; d. h., sie haben alle Pflichten aber auch alle Rechte der legislativen Gewalt, wie Immunität etc..
Durch die regelmäßige Rotation, sowohl der Vollversammlung als auch der Gremien kann Missbrauch und Konzentration politischer Macht praktisch ausgeschlossen werden.
Eine so aufgestellte Legislative ist praktisch nicht zu toppen und ganz schwer zu korrumpieren.
Vergleicht man das vorgestellte Lossystem mit dem gegenwärtigen Parteiensystem, kann man sich kaum vorstellen, warum das Los nicht längst eingeführt wurde.
Was wir täglich erleben in der Politik, ist an Ineffektivität kaum noch zu überbieten. Unmengen an Geld und Aufmerksamkeit werden in permanenten Wahlkämpfen vergeudet.
Das föderale System mit seinen vielen Parlamenten und Regierungen gewährt kaum eine Atempause. Die nächste Wahl und damit der mögliche Verlust der Parlamentszugehörigkeit drohen ständig. Dazu kommt die Überforderung in Ausschüssen, wo man sich profilieren möchte. Woher kommen wohl die oft beklagten Burnouts?
Man verlangt im Grund von den Abgeordneten, dass sie sich ihre Gesetze selbst vorbereiten (sonst geht das mit der Kariere bald den Bach runter) und sich schon vorher mit der Regierung abstimmen oder gleich übernehmen, was von da kommt bzw. von den Lobbyanwälten.
Dazu kommen noch die permanenten Wahlkämpfe und die dazugehörige Außendarstellung. So kommt man kaum zum Nachdenken, ist permanent unter Stress, und somit Wachs in den Händen der Mächtigen.
Die Achtsamkeit, die man ja eigentlich entwickeln müsste, um die Interessen des Volkes angemessen zu vertreten, kann sich unter diesen Umständen nicht entwickeln.
Zum Schluss noch eine wichtige Frage: wo bitte bleibt bei dem vorgestellten Lossystem eigentlich die Regierung? Die wurde ja noch gar nicht erwähnt, was Vielen unter Umständen noch gar nicht aufgefallen ist, geht man doch heutzutage ganz selbstverständlich davon aus, dass Parlament und Regierung eine symbiotische Einheit bilden. Die Harmonie wird nur ab und an durch lästige Zwischenrufe der Opposition gestört, die aber auch eigentlich gerne an die Fleischtöpfe wollen.
Die Vereinigung von Legislative und Exekutive ist so innig, dass man beim besten Willen nicht mehr von Gewaltenteilung reden kann. Fachleute reden von Verschränkung. Diese Verschränkung darf aber laut Grundgesetz nur übergangsweise bestehen und nicht als Dauerzustand, wie es schon seit Jahrzehnten selbstverständlich ist.
Wer eigentlich ins Parlament gewählt wurde, möchte am liebsten gleich in die Regierung. Da dürfen aber erst mal nur die Chefs hin. Die bleiben aber oft auch Parlamentsmitglieder.
Von der Regierungsbank aus dirigieren sie dann ihre Schäfchen im Plenum. Man kann ganz schwindelig werden.
Kurz und gut: eigentlich ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.
Dagegen ist die 3. Gewalt, die Judikative, fast schon eine unabhängige Mustergewalt.
Der Versuch einen Richter zu bestechen oder den Richterbund mit großzügigen Spenden zu kommen, könnte böse enden.
In unserem neuen demokratischen System ist die Regierung ausschließlich dazu da, die ihnen übergebenen Gesetzt zu exekutieren. Daher Exekutive. Diese Aufgabe ist schon schwer genug und erfordert alle Aufmerksamkeit und die klügsten Köpfe, die man finden kann.
Selbstverständlich darf eine Regierung keine Gesetzte unter ihrer Regie ausarbeiten und dem Plenum mit den besten Wünschen vorlegen. Das wäre doch ein klarer Fall von Nötigung und Missachtung der Legislative, die immer noch die wichtigste Gewalt ist, nämlich der Souverän.
Wenn die Regierung initiativ werden möchte, dann hat sie sicher exklusiven Zugang zu dem dafür vorgesehenen Gremium für die Erstellung der Agenda. Ansonsten muss sie sich an den Verfahrensweg halten, wie jeder Andere auch.
Die Kandidat:innen für Regierungsämter könnten z.B. durch ein Findungsgremium, gebildet aus allen gelosten Fachleuten der Legislative, vorab gesichtet und für das Plenum zur Abstimmung ausgewählt werden.
Es liegt auf der Hand, dass nur hochqualifizierte, integre Personen aus diesem Prozess hervorgehen. Alles andere macht keinen Sinn.
Die endgültige Bestätigung und Bestellung der Regierung erfolgt in der Vollversammlung.
Auf diese Weise steht ganz nebenher 100% der intellektuellen Ressource der Gesellschaft zur Verfügung, sowohl für die Legislative als auch für die Exekutive. Das sieht doch besser aus, als die 0,1%, die heutzutage im Angebot sind. Wir reden von allen Parteimitgliedern, die ein Mandat innehaben.
Unter diesem Aspekt ist es eigentlich völlig unverständlich, dass man sich jahrzehntelang mit Parteifunktionären abgefunden hat und noch immer abfindet, die sehr oft ihr Amt im learning by doing Modus betreiben. Nun, die Spaltung der Gesellschaft und die Probleme weltweit kommen ja nicht von ungefähr.
Ein Blick in unsere neuere Geschichte macht deutlich, wie schnell das demokratisches System, wie wir es auch heute betreiben, kippen kann.
Vor genau 90 Jahren kam die NSDAP durch Wahlen an die Macht. Auch damals gab es im Vorfeld ein mediales Dauerfeuer, auch damals sind riesige Summen von bekannten Konzernlenkern in die Partei Adolf Hitlers geflossen, ohne die die NSDAP ihre mörderischen Hilfstruppen gar nicht hätte aufstellen können. Natürlich hat auch die Zentrumspartei ordentlich Gelder kassiert. Das kommt einem doch alles ziemlich bekannt vor, die Igel lassen grüßen.
Eine offene „Abstimmung“ im Reichstag für die Ermächtigungsgesetze hat damals ausgereicht, um das ganze System auszuhebeln.
Adolf ist dann in der Folgezeit immer mehr aus dem Ruder gelaufen aber immer flankiert von den Wirtschaftslenkern. Durch die enorme Rüstungsproduktion und den anschließenden Wiederaufbau nach dem Krieg (durch die exakt gleichen Betriebe) hat man aber auch diese dunkle Zeit einigermaßen überstanden, was doch wirklich nicht Alle von sich behaupten konnten. Und es ging immer weiter mit den cleveren Clans und ihrem unwiderstehlichen Drang, sich in die Politik einzukaufen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.